Hide + Seek
Wir haben es gut, haben gefrühstückt, den Tisch ordentlich wieder abgedeckt, sind durch eine grünende Landschaft gegangen – alles hatte seine alltagslogische Richtigkeit – eine scheinbar heile Welt – und nun sehen wir die Bildern von Johann Büsen, deren Farben zwar zutraulich winken, sogar anziehen wie ein Zuckerstück, auf denen aber alles anders ist: Keine Ordnung, keine Logik, kaum Alltag. Immerhin wird gelegentlich gegessen, doch ist das Frühstück kaum zu definieren, auch wenn es zu schmecken scheint. Die Zimmer sind nicht aufgeräumt, wenn wir überhaupt Binnenräume entdecken, dafür sind die Sträucher im Garten gestutzt. Das, was wir zu lieben vorgeben, ist aus den Räumen – halb innen, halb außen – verbannt, Möbel werden brutal gestapelt, Bäume werden auf Topfpflanzen- Niveau gestutzt. Dafür können Menschen in der Luft schweben. Sie haben es wohl frühzeitig gelernt, schon die Kleinsten haben eine Leiter am Gitterbett, um abzuschwirren. Solche Leiter steht auch vor dem Aquarium, um hineinzuspringen und Schwimmen zu lernen.
Jeder von uns könnte solche Beobachtungen in den Bildern von Johann Büsen fortsetzen und die unzähligen kleinen Situationen, die er in den meisten seiner Bilder aneinanderreiht, aufzählen. Sind die Bilder darum narrativ, erzählen sie?
Ein wesentlicher Zug in allen Bildern ist doch gerade, dass jeder Versuch, ihren Inhalt als Erzählung zu verstehen, scheitern muss, weil Johann Büsen wohl mit einer Geste, einer Bewegung oder einem Gegenstand einen erzählerischen Vorgang liefert, ihn aber nach ein paar Atemzügen durch ein ganz anders gerichtetes Motiv unterbricht, sodass die begonnene Erzählung sinnlos wird. Auch die neue Story endet abrupt, sie ist wie alle anderen ohne Anfang, Ende und ohne Handlung.
Dieses Verhalten, Erzählstücke miteinander zu verknüpfen und in manchen Bildern durch Schläuche oder Kabel, aber nicht durch Sinn zu verbinden, beruht auf verschiedenen Faktoren: Vor allem auf der überfließenden Kreativität des Künstlers, auf der Lust an der Assoziation, auf der Lust am Widerspruch. Diese Lustfülle ist Voraussetzung für Büsens Schaffen. Dazu kommt der alltägliche Umgang mit den Medien, die Sie auch, alle selbst jeden Tag unter den Fingern haben. Mit der Zeitung fängt das an – Johann Büsen hat sie zu Recht ausgesperrt aus seinem Bilderbogen – denn in der Zeitung bemühen sich die Redakteure meist noch, im kleinsten Ausschnitt, den wir beim Durchblättern mitkriegen, in den Überschriften den Inhalt des Berichtes unterzubringen. Wir empfangen bei der Zeitungsüberschrift meist einen Sinn.
Hier genau verläuft die Grenze, hinter der sich die Bilderwelt von Johann Büsen aufbaut, jenseits der meist logisch vertretbaren Zusammenfassung in einem Titel. Sein Bildgeschehen ist vergleichbar mit einer anderen Erfahrung mit den Medien – wenn wir im Fernseher durch die Programme rasen und solche vom Sinn befreiten Bruchstücke anzappen und weiter zappen, weil wir den Zusammenhang nicht erfassen konnten. Ähnlich ist es mit dem Surfen im Internet – wir bleiben bei einer Figurengruppe hängen, die blaue Köpfe hat, surfen weiter, kommen zurück, jetzt hat die Gruppe rote Jacken, dann noch einmal angezappt, graue Rucksäcke und schließlich blaue Hosen, die unten rot ergänzt worden sind, leicht verrutscht wie – ja jetzt kommt eine weitere Ebene der Bilder von Johann Büsen ins Spiel – wie im Kinderzimmer die kleinen ganz realistisch gedruckten Ausschneidefiguren für die eigene Modenschau.
Johann Büsens Menschenfiguren, denen wir doch aktives Handeln unterstellen, sind nicht selten ausgeschnitten, haben noch die hervortretenden Ecken zum Festkleben, es sind keine Charaktere, sondern Papier-Kameraden, ebenso vorgefertigt wie die meisten Motive und Dinge dieser Bilderwelt. Haben wir uns in dem einen oder anderen Figuren- Beispiel erinnert an Personen oder gar die Ähnlichkeit zu jemanden erkannt, so nimmt die Entdeckung des Papiermaterials diesen Figuren jede Lebenswirklichkeit. Die Idee, dass damit letztlich die existenzielle Situation der bürgerlichen Gesellschaft zutreffend beschrieben wird, fällt uns schwer zu akzeptieren – aber ist es nicht so? Hat Büsen hier nicht auf Tatsachen verwiesen, dass wir alle letztlich in den Listen und Dateien der Behörden und Organisationen nichts anderes sind als Karteikarten, als Datei-Nummern, die beliebig ein- und aussortiert werden können. Johann Büsen hat, ob bewusst oder unbewusst, das ist für die Interpretation seiner Werke gleich, mehrfach auf die Inaktivität der Figuren in sehr unterschiedlichen Formaten verwiesen. In ihrer Inaktivität liegt das Chaos, liegt das Zerbrochene der Welt, liegt die Auslieferung des Menschen an die Computer-Realität begründet.
Johann Büsen nimmt aus den Medien, was er kriegen kann. Zuweilen deutet er an, dass die Darstellung nicht realistisch ist, wenn er noch eine Schicht von Computer-Buchstaben, Abdruck-Resten, Textfragmenten über Bildbereiche zieht, scheinbar völlig losgelöst von den unterlegten Dingen und Räumen. Auch das ist ein Grundzug dieser Bilder, dass sie nicht nur ein Nebeneinander von kaum zu vereinbarenden Motiven haben, sondern auch aus der Tiefe zur Oberfläche unterschiedliche Schichten zu erkennen geben, die vieles verbergen und zum Suchen auffordern. Johann Büsen gibt diesen Schichten einen Zug von Zufälligkeit, sogar den Eindruck von Fehlern, ohne zu versuchen, sie zu beseitigen. Sie vertiefen die zeitliche Problematik in den Motiven - das Nebeneinander von Vergangenheit, Sciencefiction, Comic, Kinderbuch alles Metaphern von Zeit.
Zufälligkeit und Scheinfehler mögen helfen, das Bild wieder als Bild wahrzunehmen, nicht als Vision. Erleichterung mag sich einstellen.
Schnell kommen wir zu dem Schluss – Gottseidank, das sind nur Bilder, die Wirklichkeit ist viel einfacher, und sie spielt woanders – und schon täuschen wir uns erneut.
Noch befinden wir uns in Sicherheit vor den Szenen, noch sind diese vor unseren Augen, aber wie schnell wird es gehen, bis sich solche Bildinhalte in unseren Köpfen festgesetzt haben, bis wir erkennen, dass wir dieser Hektik und Gebrochenheit der Wahrnehmung, dieser Fülle an Aufforderungen und Anregungen, Ablehnungen und Zersplitterungen unseres Alltags unterliegen, bis die Bilder Realität werden in unserem Leben?
Johann Büsen belehrt uns nicht, er zeigt auch keinen Spiegel, er schaut nur voraus und er zeigt in jedem Bild einen kleinen Teil des Chaos, das uns erwartet. Er hat bei der Arbeit an seinen Bildern in den Computer geschaut und deutet an, was sich in unseren Köpfen bald befinden wird, so lustvoll wir uns immer wieder dem Computer und seinen zerstörten Einheiten hingeben. Es gibt kein Entrinnen – aber die Bilder von Johann Büsen machen trotzdem Spaß. Aber weil sie Spaß machen, müssen wir die Bilder auch anders sehen können: statt kulturpessimistischer Betrachtung eine kunstoptimistische Anschauung: Die Bilder zeigen perfekte Kompositionen. Johann Büsen greift tief in die unendliche Klamottenkiste „Internet“ und holt intuitiv und exzessiv heraus, was er zu brauchen scheint. Wir wissen nicht, was er wieder verschwinden lässt. Das Gefundene ordnet er nach eigenen Spielregeln in vollendet vieldeutiger Komposition, in der Zeit und Raum aufgehoben sind, wie es dem Internet entspricht.
Kurz: Johann Büsen beteiligt sich mit seinen zweifellos einzigartigen Bildern an der Entdeckung eines neuen Kontinents, dessen Name noch nicht festgelegt ist. Und mehr noch: Er untersucht Möglichkeiten, die Statuarik eines Bildes zu überwinden. Wenn Sie auf seiner Website den Button „Animation“ drücken, werden Sie manche Bilder wiederfinden, nun aber bewegen sich Figuren und animals, noch ganz zaghaft, ungewiss, als glaubten sie selbst nicht, dass sie sich bewegen können.
Johann Büsen arbeitet daran, die Grenze zwischen Bild und Animationsdarstellung desselben Motivs aufzuheben. Das bedeutet einerseits, dass das inhaltliche Durcheinander in den Bildern noch größer werden kann, andererseits, dass auch der Betrachter immer neue Einsichten gewinnen könnte, wenn er sich darauf einlässt.
Die Ansätze zum Neuen sind in den Bildern von Johann Büsen kaum noch verborgen „Hide + Seek“, wie es im Titel heißt - suchen Sie sie.
Dr. Jürgen Weichardt
Kunstkritiker, 2013