Wirklichkeit und VirtualitÄt
Johann Büsen greift in die Fülle des visuellen Angebots und pflegt lustvoll eine schöne Unübersichtlichkeit. Er entwickelt Geschichten, scheut sich nicht vor Ausuferungen, hält Bewegungsrichtungen offen, stellt mehrere narrative Stränge nebeneinander. Fläche fügt sich an Fläche, Figur an Figur, Szene an Szene. Keine Farbverläufe werden zugelassen, die zeigen könnten, dass dem Material hier freie Eigenbewegung zugebilligt wäre.
Die Schichtungen der dichten Kompositionen entfesseln beim Betrachter ein assoziatives Weiterspinnen. Sowie das Bildmaterial dem Künstler aus unterschiedlichsten Quellen ins Auge fällt, fließt es auf die Fläche. Man erkennt Motive aus dem Alltag. Banale Bedienungs- oder Bauanleitungen erwecken in diesem Kontext schon mal den Eindruck geheimer Pläne und gewichtiger Formeln. Profane Wirklichkeit vermischt sich mit fiktionalen Welten aus Film, Fernsehen, Literatur. Im virtuellen Raum fließen alle Wahrnehmungsebenen zusammen.
In diesem Gemenge geht es nicht vorrangig um Abbildung oder Gestaltung des exponierten Gegenstands, des besonderen Schauplatzes oder der außergewöhnlichen Szenerie. Thema ist die mehr oder weniger bewusste oder untergründig wirksame Verknüpfung, das Zusammenführen, Zusammenlesen eines aus unterschiedlichsten Quellen gespeisten Kosmos, in dem für Sehen, Empfinden und Bewusstsein nicht mehr getrennt ist zwischen Wirklichkeit und Virtualität.
Büsen zeichnet, fotografiert und filtert Motive aus den unterschiedlichsten Medien von Print bis Internet. Er versammelt Bausteine eines Themenfelds auf der Arbeitsfläche des Computers und lässt sich nach eröffnenden Skizzen, einem zeichnerischen Aufriss der Komposition, vom assoziativen Spiel im Bildaufbau leiten. Die bedrängende, diffus erscheinende Fülle entspricht der Unübersichtlichkeit der Lebenswelt und ihrer Repräsentation in den digitalen Medien. So fragmentarisch Mensch und Leben hier auftreten, so sehr wird in der Strukturierung und Farbgestaltung, in der Suche nach Tiefe hinter der flächigen Addition, die Sehnsucht nach Balance, nicht nur zwischen Mensch und Maschine, sondern zwischen dem Menschen und seiner Lebenswelt insgesamt sinnfällig.
In all dem Wust gibt es aber doch eine gewisse Ordnung. Und es gibt vor allem die kompositorischen Impulse zu einer permanenten Neubetrachtung, Fügung, Gewichtung und Bewertung. Die digitalen Segnungen, die Aufnahme, Speicherung, Bearbeitung und Weitergabe von Material in ebenso schneller Fixierung wie Revision möglich machen, schlagen sich nieder. Das Material ist in Ordner gelegt, es gibt grobe Kategorien. Die einzelnen Elemente besitzen bestimmte Attribute, die sie verschiedenen Feldern zugehörig machen. Es gibt diverse Links, offene Verknüpfungen, die der Betrachter aufnehmen und weiterschreiben kann.
Die Zusammenführung der einzelnen Elemente, die Kombination als offene Sinnstiftung eines mutmaßlich Ganzen wird hier zum zentralen Thema. Büsen balanciert die Überfülle auf bemerkenswerte Weise durch Abstimmung der künstlichen Farbigkeit und subtile Gewichtung des Geschehens aus. Man spürt die ordnende Hand bei aller Neigung zur Chaos-Pflege. Der Künstler scheint mit dem Samplen und Mixen, der steten Neu-Besichtigung des Auf- und Zugefallenen auf der Höhe der Zeit zu sein. Seine Kunst nimmt Abschied von der einen Fassung, von Original und Unikat. Sie nimmt auch Abschied von der Vorstellung, der Künstler habe alles buchstäblich im Griff. Das Balancieren, nicht das Fixieren, macht hier den Reiz aus, die stetige Überraschung, die rauschhafte Fülle, das Versinken im nicht versiegenden Medienfluss, die Bereitschaft für das Unbekannte und Unerwartete, das Jonglieren mit Perspektiven und Fokussierungen.
In der Komposition „Failed“ gruppiert sich um ein Kind in embryonaler Haltung ein dichtes Geflecht von Vorrichtungen und Werkzeugen, die das Ungeborene erwartet. Medienbilder von Katastrophen, die sich ins kollektive Gedächtnis eingegraben haben, verweisen am Fuß des Bildes auf den Fetisch Mobilität, Der martialische Auftritt eines Menschen lässt offen, ob seine technologisch hoch aufgerüstete Ausstattung wissenschaftlichen oder militärischen Zwecken dient. In einem Zitat von Andy Warhols Campbell-Dose wird erkennbar, dass auch die Pop-Art mit ihrer heroischen Feier industrieller Serienware ein Verfallsdatum hat.
Johann Büsen versammelt seine digitalen Leinwände um ein klassisches Thema der Neuzeit: das Verhältnis von Mensch und Maschine. In seinen Tableaus tauchen Versatzstücke einer Lebenswelt auf, die von der Geburt bis zum Tod durch apparative Begleitung bestimmt ist. Verkehrs- und Kommunikationstechnik, Medizin und Medien zeigen sich als Kern und Katastrophe, Hoffnung und Bedrohung der Gegenwart. Seine Bilder bedrängen und fordern vom Betrachter Flucht- und Standpunkt ein.
Dr. Rainer Beßling
Kulturjournalist, 2009